Zur Zukunft der Gaswirtschaft: reduzieren, diversifizieren
DI Dr. Heinz Kopetz, 03.03.2022
Kürzlich las ich ein Buch des Nobelpreisträgers Frank Wilczek über „Die zehn Prinzipien der modernen Physik“. In diesem Werk kommt der Autor auch auf existenzielle Gefährdungen der Menschheit zu sprechen. Er sieht in dem ungebremsten Klimawandel und in einem Atomkrieg die beiden größten Gefahren, die die Existenz der Menschheit bedrohen.
In der letzten Februarwoche 2022 wurde mir bewusst, wie real und aktuell die Einschätzung dieses großen Physikers tatsächlich ist. Der Internationale Klima -Rat (IPCC) veröffentlichte in dieser Woche seinen Bericht „Climate change 2022“, in dem auf die Wichtigkeit der raschen Transformation der Energiesysteme für das künftige Wohlergehen der Menschheit hingewiesen wird. Der russische Einfall in die Ukraine, die erhöhte Alarmbereitschaft für Atomwaffen, machte uns allen bewusst, welche Gefahren plötzlich über die Menschen hereinbrechen können und was die Abhängigkeit von fossilen Energien nicht nur klimapolitisch sondern auch wirtschaftlich bedeutet. Beide Probleme hängen eng miteinander zusammen.
Daher müssen auch die Lösungsvorschläge diese Interpendenz der Probleme berücksichtigen. Es führt nicht weiter, jetzt darauf hinzuweisen, was in der Vergangenheit vielleicht falsch gelaufen ist. Das ist Geschichte. Vielmehr kommt es darauf an, zu überlegen, was in den kommenden Wochen und Monaten zu tun ist, um den Klimawandel zu verlangsamen und die Sicherheit der Energieversorgung zu vertretbaren Kosten zu erreichen. Dabei beschränke ich mich hier aus aktuellem Anlass auf die Gaswirtschaft.
Aus Klimaschutzgründen muss der Verbrauch von Erdgas in Österreich bis 2030 zumindest halbiert werden. Da wundere ich mich über eine Studie der Energieagentur, die davon ausgeht, dass es Klimaaspekte kaum gibt und der Erdgasverbrauch weiter steigt. Das würde ja bedeuten, dass wir die Klimawandel nicht ernst nehmen. Eine solche Haltung halte ich für verantwortungslos.
Nein, der Erdgasverbrauch in Österreich, in Europa muss aus Klimaschutzgründen massiv zurückgehen. Aber wie soll das erreicht werden? Da hilft ein Blick auf die Einsatzgebiete von Erdgas. Im Schnitt der letzten Jahre war die Verwendung von Erdgas wie folgt: 10 % für die Fernwärmebereitstellung, 26 % für die Stromerzeugung vor allem im Winter, 26 % für Raumwärme, 35 % für die Prozesswärme in der Güterproduktion und der Rest für die Mobilität.
Am schnellsten kann Erdgas in der Fernwärmebereitstellung ersetzt werden durch Solarthermie, Wärmepumpen und Biomasse. Wenn die Verantwortungsträger in den 15 großen Städten Österreichs, die für ihre Fernwärmenetze überwiegend Gas einsetzen, in den kommenden Wochen die Grundsatzentscheidung zum Umstieg auf erneuerbare, inländische Energiequellen treffen, so könnte dieser Umstieg in ein bis drei Jahren weitgehend umgesetzt werden. Der Erdgasbedarf ginge um 10 % zurück! Einige Landeshauptstädte wie Eisenstadt oder Klagenfurt haben das in den letzten Jahren mit großem Erfolg demonstriert. In diesen Städten gibt es keine abrupten Erhöhungen der Wärmepreise!
Der zweite Bereich, der einen nicht gänzlichen aber doch weitgehenden Verzicht auf Erdgas ermöglicht, ist die Stromerzeugung. Da wir gerade im Winter Erdgas für die Stromerzeugung einsetzen, müssen jene erneuerbaren Quellen forciert werden, die im Winter mehr erneuerbaren Strom liefern können als im Sommer; das sind die Windenergie und die Biomasse. Im Jahre 2019 hatten wir in Österreich 3,2 GW Windkraft installiert, das ist bezogen auf die Bevölkerungszahl etwa die Hälfte der Installationszahlen von Deutschland. Daher sollte es ein Beschleunigungsprogramm Windausbau auf 10 GW geben; so könnten im Winterhalbjahr 10 TWh Strom zusätzlich aus Wind bereitgestellt werden.
Die Stromerzeugung aus Biomasse & Biogas von knapp 5 TWh im Jahre 2019 sollte um 2 TWh erhöht werden. Gleichzeitig sollte die Energiepolitik Anreize schaffen, dass der Großteil der biogenen Stromerzeugung im Winter erfolgt. Auf diese Weise kann die Biomasse als kostengünstiger Speicher genutzt werden und die Stromerzeugung im Winter um weitere drei TWh steigen. Ergänzend dazu sollte auch die Photovoltaik schneller als bisher geplant ausgebaut werden. Durch die rasche Umsetzung dieser Vorschläge lässt sich die Verwendung von Erdgas zur Stromerzeugung drastisch reduzieren.
Der nächste große Bereich ist Erdgas in der Raumwärme. Hier ist die Umstellung im Gange aber es wird natürlich länger dauern, bis 900.000 Gaskessel ausgetauscht sind. Als Alternativen zum Erdgas in den Städten und in den ländlichen Gebieten kommen die Fernwärme aus erneuerbaren Energien, die Wärmepumpe und Biomasse -Heizungen wie Pellets- oder Hackgutkessel in Betracht.
Aus Klimaschutzgründen wäre es sehr zu begrüßen, wenn es durch diese Schwerpunktprogramme „Fernwärme ohne Erdgas“, „Strom weitgehend ohne Erdgas“ und „Raumwärme ohne Erdgas“ gelingt, innerhalb von fünf bis zehn Jahren den Erdgasverbrauch um 60 % von aktuell 90 TWh (8 Mrd. Kubikmeter) auf etwa 35 TWh zu reduzieren.
Für die Aufbringung dieser Restmenge sollte dann das Prinzip diversifizieren gelten, denn aktuell wird ja 92 % des Erdgasverbrauchs durch Importe gedeckt, davon 80 % aus Russland. Da stellt sich zunächst die Frage nach der inländischen Erdgasaufbringung. Diese liegt in der Größe von 8 TWh, Tendenz rückläufig. Über das Potential erneuerbarer Gase aus dem Inland schwirren verschiedene Fantasiezahlen durch die Presse. Dabei ist zu bedenken:
Bestehende Biogasanlagen, die Strom und Wärme liefern, sind wichtige lokale Energiezentralen, die auch im Winter verlässlich Strom liefern. Sie sollten auf keinen Fall gezwungen werden, die Stromerzeugung einzustellen, um in das Gasnetz einzuspeisen. Dadurch würde nur die Winterstromlücke zunehmen.
Die großtechnische Vergasung von Holz, die auch fallweise ins Spiel gebracht wird, ist im Vergleich zur direkten thermischen Nutzung von Holz ineffizient, erhöht die Kosten der Umstellung und ist daher nicht attraktiv. Verbleibt die Errichtung neuer Biogasanlagen auf der Basis organischer Abfälle in den urbanen Gebieten und auf Bauernhöfen mit großen Viehbeständen. Solche Anlagen sollten unbedingt forciert werden, allerdings wird aufgrund der geographischen Land nur ein Teil dieser neu errichteten Anlagen ins Gasnetz einspeisen können, die anderen sollten auch Strom ins Netz liefern und die Wärme lokal nutzen. Aufgrund dieser Einschätzung halte ich das Potential für erneuerbare Gase zur Einspeisung in das Gasnetz bis 2030 auf nicht höher als 4 – 6 TWh.
Manche bringen auch den grünen Wasserstoff ins Spiel. Doch grünen Wasserstoff als klimapolitische Alternative kann es erst geben, wenn es einen permanenten Überschuss an erneuerbaren Strom gibt. Das wird bis 2030 nicht der Fall sein. Die Forcierung von Wasserstoff in einem Land, in dem im Winter noch 50 % des Strombedarfs aus Atom- oder Gaskraftwerken kommt, führt zu einem Mehrbedarf an Erdgas und steht im Widerspruch zu den Klimazielen. Daher sollte auch die Wasserstoffstrategie 2030 der Europäischen Union nach der Zäsur von Ende Februar 2022 sofort annulliert werden, da sie nur zu zusätzlichem Bedarf an Erdgas führt. Da ist es sinnvoller, wenn auch in der Güterproduktion da und dort Erdgas durch Strom oder andere erneuerbaren Energieträger ersetzt wird und auf diese Weise der Erdgasverbrauch zurückgeht statt Strom in die ineffiziente Wasserstoffwirtschaft zu lenken.
So zeigt diese Analyse, dass Österreich auch bei großen Anstrengungen gegen 2030 noch über 20 TWh Erdgas (1,8 Mrd. m³) wird importieren müssen. Diese Importe werden wohl aus Europa und auch aus anderen Kontinenten kommen. Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Auswahl der Lieferländer sollte sein, ob die Länder die Deviseneinnahmen aus Energielieferungen für friedliche oder für kriegerische Zwecke verwenden wie etwa Saudi – Arabien für den Krieg gegen den Jemen oder Quatar für die Finanzierung der Hisbollah und diverser Terrorkampagnen. Dieser Aspekt spricht für Flüssiggasimporte aus Australien, Amerika und nicht unbedingt aus Ländern im Nahen Osten. Zusammenfassend: ein abrupter Verzicht auf Erdgas ist ohne drastische Verwerfungen für die Wirtschaft und Gesellschaft ist nicht möglich. Doch ein jährlicher Rückgang im Einsatz von Erdgas um fünf bis zehn Prozent kann mit großen Anstrengungen erreicht werden. Ja, er ist unbedingt notwendig, um den Klimawandel zu bremsen, unabhängig davon wie sich die geopolitische Lage weiter entwickelt. Dieser Ausstieg aus Erdgas sollte in den kommenden Jahren auf die Bereiche Fernwärme, Strom und Raumwärme fokussiert werden und im Jahrzehnt bis 2040 auch die Güterproduktion erfassen. Daher ergibt die künftige Erdgaspolitik die Devise: reduzieren und diversifizieren, um dann später überhaupt auszusteigen. Nur so sind die Klimaziele erreichbar!